Frühe Spuren in der Mistelwelt

Als Steiner die Ärztin Ita Wegman Ende 1916 zur praktischen Ausarbeitung der Misteltherapie bei Krebs inspirierte, hatte er selbst sich bereits seit Längerem mit den Besonderheiten dieser Heilpflanze auseinandergesetzt. Frühe Spuren seiner Begegnung mit der Mistelwelt lassen sich bereits während seines Studiums erschliessen und führen bis in die Kindheit. Damals legte er den täglichen Fussmarsch zwischen Wohnort und Schule in einer ausgesprochen mistelreichen Gegend zurück.

Starken Eindruck machten Steiners eigenen Worten zufolge auf ihn die österreichisch-steiermärkischen Verhältnisse der Gebirgsgegend, in deren Nähe er als Knabe aufwuchs. In der ehemaligen römischen Provinz Noricum aber hatte die Bergbevölkerung ein uraltes, tief spirituelles Wissen über den Mistelkult der alpen-keltischen Druiden bewahrt.

Als Steiner ab 1979 an der Wiener Technischen Hochschule Naturwissenschaften studierte, begegnete er dem alten Wissen über die Heilkraft der Pflanzen erneut, als er Freundschaft mit dem weisen Kräutersammler Felix Koguzki schloss. Dessen spezielle Art, über das innere Wesen der Pflanzen zu sprechen, kontrastierte mit den akademischen Kenntnissen, die Steiner in botanischen Vorlesungen und Praktika sammelte und auch die Mistel zum Inhalt gehabt haben dürften.

Die Synthese aus alten und neuen Wegen, die Pflanze zu betrachten, entwickelte Steiner gegen Ende des Studiums als Herausgeber von Goethes Naturwissenschaftliche Schriften. Goethes Idee der Metamorphose war nicht nur hilfreich, um die botanischen Besonderheiten und mythologischen Traditionen der Mistel zu beleuchten. Vielmehr liessen sich mit dem ideellen Konzept von Polarität und Steigerung auch das therapeutische Potential der Mistel spezifizieren und Grundelemente für eine wesensgemässe pharmazeutische Verarbeitung der Misteln entwickeln.